Vor gut einem Jahr ging das it’s OWL Projekt SE4OWL, Systems Engineering für OWL, an den Start. Seitdem ist einiges passiert. Wir wollen einen genaueren Blick werfen auf die Vorgehensweise, Zwischenergebnisse und wie es weitergeht in den nächsten zwei Jahren.
Zusammen mit Partnern aus der Industrie (Miele, Claas, Harting AT) & Beratung (Two Pillars, Unity) entwickelt das Projektteam des Fraunhofer IEM Ansätze, um insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen dabei zu unterstützen, Systems Engineering langfristig und ganzheitlich anzuwenden. Dabei wird das Unternehmen als soziotechnisches System mit den Aspekten Mensch, Technik und Organisation betrachtet.
Um die vier unterschiedlichen Handlungsfelder möglichst allumfassend zu bearbeiten, wird im SE4OWL-Projekt in kleineren Teams an folgenden Fragestellungen gearbeitet.
1. Wie kann man Unternehmen stakeholdergerechte Methoden und Werkzeuge zur Verfügung stellen?
Ausgangssituation
Systems Engineering (SE)-Werkzeuge und Methoden sind komplex und nicht anwenderfreundlich. Es mangelt dementsprechend an Verständnis für SE-Tools. Ebenso müssen bestehende Methoden zunächst adaptiert werden, um einsetzbar zu sein. Zudem fehlt ein Überblick an SE-Methoden, sowie eine Übersicht über die einzelnen Stakeholder-Bedarfe. Das Wissensmanagement bzw. -transfer ist sehr eingeschränkt und die Wiederverwendbarkeit von bereits erlangtem Wissen ist nicht automatisch gegeben. Dies soll sich ändern.
Ziel ist es, SE praxistauglicher zu machen und handhabbare Methoden und Werkzeuge anschaulich in einer Übersicht zur Verfügung zu stellen. Außerdem sollen Bedarfe und Hindernisse identifiziert werden und Lösungsvorschläge erarbeitet werden. Aber wie kann man das angehen?
Lösungsansätze und erste Ergebnisse
In der ersten Phase hat sich das Projektteam mit Stakeholdern befasst und einzelne Rollencluster identifiziert, die als Akteure im SE wirken. Daran angelehnt wurden Rollen-Steckbriefe abgeleitet. Einen guten Überblick gibt zudem das hierbei erarbeitete Metamodell: Es erfasst die Verknüpfungen zwischen Rollen, Methoden, Prozessen, Aufgaben und Kompetenzen.
Mithilfe des INCOSE Competency Frameworks analysierte das Projektteam, welche Kompetenzen für welche Rolle notwendig sind, um SE anzuwenden und erarbeitete zudem Ansätze, um die Organisationsstruktur zu gestalten bzw. anzupassen.
INCOSE Competency Framework
Das Systems Engineering Competency Framework stellt eine gemeinsame Sprache zur Verfügung, mit der die Kompetenzen beschrieben und diskutiert werden können, die für die Durchführung von Systems Engineering erforderlich sind.
Ein Methodenkoffer hilft die richtige Wahl zu treffen
Um Unternehmen bei der Auswahl geeigneter SE-Methoden und Werkzeuge zu unterstützen, ist ein Konzept für einen Methodenkoffer entstanden. Mithilfe einer Filterfunktion soll so jedes Unternehmen, das auf der Suche nach geeigneter Hilfestellung ist, ganz einfach die passende Methode finden. Filterkriterien, wie zum Beispiel die Zuordnung zu den Rollen, Projektphasen und dem SE-Reifegrad, erlauben die passgenaue Auswahl.
2. Wie schafft man ITS (Intelligente Technische Systeme)-gerechte Engineering Strukturen?
Ausgangssituation
Historisch gewachsene Unternehmensstrukturen – speziell die Aufbauorganisation und die Engineering-Infrastruktur – erschweren die Umsetzung eines übergreifenden SE-Ansatzes. Da Systems Engineering aber auf viele unterschiedliche Strukturen eines Unternehmens Einfluss hat, ist es wichtig, die SE-gerechte Umgestaltung der Unternehmensstrukturen voranzutreiben.
Lösungsansätze und Ergebnisse
Das Projektteam startete mit dem Ausbau eines Reifegradmodells, welches von Unternehmen genutzt werden kann, um sich selbst aufzuzeigen, wie gut oder schlecht SE-relevante Prozesse im eigenen Unternehmen ablaufen. Basierend auf dieser Bewertung lassen sich die Voraussetzungen für eine erfolgreiche SE-Einführung bzw. eine SE-Optimierung in den untersuchten Unternehmen ableiten.
Das Projektteam entwickelte zudem im ersten Projektjahr eine Methode, die Unternehmen hilft für ihre Bedarfe geeignete Ziel-Reifegrade zu identifizieren.
Systems Engineering zentral oder dezentral im Unternehmen verankern?
Auch diese Fragestellung wurde schon systematisch bearbeitet. Aufbauend auf den Ergebnissen entstand ein Vorgehensmodell, das diese Entscheidung unterstützt. Ein Baukasten zur Gestaltung der Aufbauorganisation ist ebenfalls in Arbeit. Um alle Erkenntnisse abzusichern, steht im nächsten Schritt der wichtige Praxischeck der Ergebnisse an.
Wie erreicht man individuelle und organisatorische Akzeptanz?
Ausgangssituation
Die Akzeptanz für Systems Engineering ist bei einigen der relevanten Stakeholder zu gering. Qualifizierungsmöglichkeiten sind oft nicht bekannt oder passen nicht zu den eigenen Bedarfen. Zudem erscheinen die meisten Systems Engineering Ansätze auf den ersten Blick sehr kompliziert. Um eine breite Zustimmung zu erreichen, bietet es sich an, SE-Knowhow „spielerisch“, also mit Serious Gaming aufzubauen.
Drei Anwendungsszenarien wurden im letzten Halbjahr identifiziert und zugleich passende Qualifizierungskonzepte erarbeitet.
Ergebnisse
SE-Spiel: Awareness, Verstehen, Anwenden
• SE- Awareness:
Ein App-gestütztes Kartenspiel, das die Prozesse und Methoden des SE aufzeigt, ist in der Entstehung. Ziel ist es, das Spiel im Rahmen einer Masterarbeit bis Januar 2022 fertigzustellen.
• SE-Verstehen:
Um das Verständnis zu erhöhen, erarbeitete das Projektteam ein kollaboratives Brettspiel. Die SE-Methoden bzw. Prozesse werden dabei durchlaufen.
• SE-Anwenden:
Spielende sollen im Rahmen eines Planspiels lernen, SE anwenden zu können. Damit der Spielcharakter nicht verloren geht, enthalten alle Spiele nur eine begrenzte Menge an Informationen, aber trotzdem ausreichend, um die Herausforderungen des SE zu verdeutlichen. Dieses Spiel wurde schon erfolgreich vom Fraunhofer IEM erprobt.
3. Wie gelingt der Wissenstransfer am besten?
Ausgangssituation
Dieser Teil des Projekts stellt sicher, dass alle Ergebnisse unternehmensneutral validiert werden, und – was besonders wichtig ist – dass alle Ergebnisse auch den Weg in die Unternehmenspraxis finden.
Ergebnisse
Um den Ergebnistransfer voranzutreiben, entstehen aktuell Konzepte für physische – in Form eines Messedemonstrators – als auch virtuelle Demonstratoren. Schwerpunktmäßig wurde im letzten halben Jahr an dem digitalen Demonstrator gearbeitet. Der Aufbau des digitalen Demonstrators erfolgt webbasiert in Form eines „Big Pictures“. Hierzu wird eine Story für die durchgängige Erkundung ausgewählter Aspekte definiert und mit Resultaten aus Experteninterviews ergänzt. Auch die Reifegrade aus dem Reifegradmodell werden in Form von leicht verständlichen Illustrationen grafisch dargestellt. Auf Basis dieses Prozesses soll die Eignung des Demonstrators überprüft werden.
Ausblick
Knapp ein Jahr nach Start sind alle Beteiligten sehr zufrieden mit dem Fortschritt des Projekts und zogen beim freiwilligen Meilensteintreffen eine positive Bilanz. „Selbst jetzt schon zahlen die Zwischenergebnisse auf aktuell relevante Tätigkeiten des Tagesgeschäfts der beteiligten Partnerunternehmen ein“, freut sich Daria Wilke Projektkoordinatorin beim Fraunhofer IEM und Systems Engineering Enthusiastin. In den nächsten zwei Jahren wird weiter an Leitfäden, Methoden und dem SE-Demonstrator gearbeitet, so dass auch kleinere und mittlere Betriebe es künftig einfacher haben Systems Engineering systematisch und nachhaltig einzuführen.
Klingt spannend?
Wer einen tieferen Einblick in die Ergebnisse gewinnen will oder gar bei der Validierung von Ergebnissen mit dem eigenen Unternehmen sich beteiligen möchte, kann gerne mit Daria Wilke, Projektkoordinator von SE4OWL und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer IEM Kontakt aufnehmen. Mail: daria.wilke@iem.fraunhofer.de
Mehr zu SE4OWL:
www.its-owl.de/se4owl