Diskussion von Change Management sowie Serious-Gaming-Ansätzen im Rahmen des GfSE-Workshops 2021
Egal ob KMU oder Konzern, bei der Einführung von Systems Engineering stehen alle vor Herausforderungen. Diese Erkenntnis konnten Ulf Könemann und Daria Wilke im Rahmen des jährlichen Workshops der Gesellschaft für Systems Engineering (GfSE) mitnehmen. Zusammen moderierten die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Fraunhofer IEM das Projektthema “Bedarfsgerechte Einführung und Akzeptanz von Systems Engineering”.
In einer vernetzten Welt, in der die Prozesse immer dynamischer ablaufen, gewinnt das Systems Engineering zunehmend an Bedeutung. Aufgaben werden umfangreicher und immer komplexer. Mit der steigenden Komplexität nimmt jedoch auch die Unübersichtlichkeit zu. Systems Engineering hilft dabei, die Sicht auf die Prozesse zu schärfen und ein ganzheitliches Systemdenken zu stärken.
Hier der Projekt-Teaser:
Im zweitägigen Workshop vom 4. bis 5. Februar 2021 wurden mit 19 Teilnehmer:innen aus unterschiedlichen Branchen folgende Fragestellungen diskutiert:
Fragestellungen:
- Welche Herausforderungen und Chancen sind bei der Etablierung von Systems Engineering zu beachten?
- Welche Vorteile bietet ein nutzerorientierter Ansatz?
- Welche Rolle spielt Qualifizierung bei der Einführung von Systems Engineering?
- Wie lassen sich Qualifizierungsinhalte unterhaltsam gestalten?
Der Workshop startete mit einer Vorstellungsrunde und einer anschließenden Präsentation des Projektes SE4OWL. Anschließend ging es in den Austausch.
Hindernisse bei der Einführung
Die Teilnehmer:innen nannten vielfältige Probleme und Herausforderungen bei der Einführung von Systems Engineering. Silodenken und mangelnde Unterstützung des Managements stellen z. B. große Hürden dar. Abteilungen haben außerdem Sorge vor Kompetenzverlust, was zu mangelnder Interdisziplinarität in der Zusammenarbeit führt. Ein fehlendes Verständnis für das Thema Systems Engineering bei Mitarbeiter:innen führt zusätzlich dazu, dass der mit der Einführung verbundene Aufwand falsch eingeschätzt und der Mehrwert nicht erkannt wird. Die unzureichende Berücksichtigung des Changemanagements stellt bei der Einführung allerdings das häufigste Problem dar.
Top 5 Erfolgsfaktoren bei der SE-Einführung
- Kontextdiagramme als Quick-Win-Beispiele nutzen
- Basiswissen und -verständnis mit einfachen Beispielen vermitteln
- Gleiche Sprachen durch Glossar etablieren
- Mehrwert den einzelnen Stakeholdern vermitteln
- Nicht bloß von SE reden, sondern die Philosophie leben!
Wie kann man also SE am effektivsten einführen und die genannten Herausforderungen bewältigen?
Zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren bei der Einführung von SE gehört z. B. die Nutzung von Kontextdiagrammen. Sie definieren die Grenzen des Systems, machen die Schnittstellen mit der Umgebung sichtbar und zeigen auf, mit welchen umliegenden Systemen interagiert wird. Kontextdiagramme bewirken so eine erhebliche Verbesserung in der Klarheit des Verständnisses und der Kommunikation aller Beteiligten. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Vermittlung von Basiswissen und -verständnis anhand von einfachen Beispielen, um den Einstieg in das Thema zu erleichtern. Auch die Entwicklung einer einheitlichen Sprache durch ein Glossar mit abgesprochenen SE-Begriffen kann die Einführung angenehmer und übersichtlicher gestalten.
Wichtig ist es außerdem, den Mehrwert von Systems Engineering den einzelnen Stakeholdern zu vermitteln So schafft man auf allen Ebenen genügend Rückhalt für die sntehenden Veränderungen. Hier ist zu beachten, dass den unterschiedlichen Managementebenen des Unternehmens die Vorteile von SE aufgezeigt werden müssen, damit ein ausreichendes Management-Commitment vorliegt. Gerade auf den mittleren Managementebenen kann SE zunächst auf Widerstand treffen, da es für die Beschäftigten an dieser Stelle den höchsten Verlust von Einfluss bedeuten kann. Eine umfangreiche Aufklärung der Mitarbeiter:innen ist folglich sehr wichtig, um die Einführung von Systems Engineering erfolgreich umsetzen zu können.
Ein weiterer Erfolgsfaktor bei der Einführung von SE besteht darin, sich zunächst einen Schwerpunkt auszusuchen, mit dem man anfängt. Wenn die Beschäftigten nicht von vornherein mit einer Unmenge an neuen Informationen und Tools überfordert, sondern schrittweise an das neue Thema herangeführt werden, führt dies zu einer erhöhten Akzeptanz der Veränderungen. Auch der Aufbau einer gemeinsamen Vision mit klaren Zielen, die in kleine Schritte unterteilt sind, erleichtert die Einführung.
Am wichtigsten ist jedoch: SE leben! Anstatt nur über Systems Engineering zu reden, sollte man die Philosophie aktiv ausprobieren und so lange an die individuellen Bedürfnisse anpassen, bis man die für das eigene Unternehmen funktionierende Strategie gefunden hat.
Best Practices – Erfahrungen der Teilnehmer:innen
Die Teilnehmer:innen sammelten verschiedene Ideen. Man könnte z. B. veraltete Software, die den Wechsel zur Interdisziplinarität behindert, durch neue ersetzen. Die Lösung zum Abbau des Silodenkens stellte die Teilnehmer:innen vor eine umfangreichere Aufgabe. Die Notwendigkeit eines einheitlichen Systems-Engineering-Denkens wurde hierbei herausgestellt. Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin sollen verstehen, was genau sich hinter SE verbirgt und wissen, was dies für ihn oder sie jeweils bedeutet. Um dies umzusetzen, können realitätsnahe Beispiele, die am Alltag oder an konkreten Aufgaben orientiert sind, helfen.
Nutzerorientierter Ansatz – den individuellen Bedarf betrachten
Die Teilnehmer:innen waren sich einig, dass für eine gelungene Umsetzung des Systems Engineering, die einzelnen Beteiligten und ihre Aufgaben individuell zu betrachten sind. Methoden und Tools, die für die interdisziplinäre Arbeit benötigt werden, sollen bedarfsgerecht zugeschnitten werden. Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Teilnehmer:innen tauschten sich darüber aus, welche Erfahrungen sie z. B. mit Experteninterviews gemacht haben. Vorteile dieser Methode sind nicht nur die detailreiche Ausarbeitung der Fragen, sondern auch ein großer Freiheitsgrad bei der Durchführung. Eine weitere besprochene Methode war der Start in kleinen Gruppen, bei dem sich alle Teilnehmenden kreativ mit einbringen können. Die eigenständige Erarbeitung fördert nicht nur das SE-Verständnis, sondern unterstützt auch die Zusammenarbeit im Team.
Anschließend wurde diskutiert, welche Methoden oder Konzepte für Bedarfsanalysen überhaupt bekannt sind und worauf dabei geachtet werden sollte. Workshops, Livebeobachtungen oder Experimente sollten z. B. nicht zu akademisch sein. Außerdem sollen alle relevanten Stakeholder hinzugezogen werden und die Ausarbeitung soll kurz und knapp auf die wesentlichen Punkte beschränkt sein.
Die richtige Balance zwischen individuellem und allgemeinem Ansatz sorgt für eine nachhaltige Implementierung im Unternehmen. Inhalte dürfen nicht zu allgemein vermittelt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich die Mitarbeiter:innen mit den Ansätzen nicht identifizieren können und SE ablehnen. Ein zu individueller Ansatz hingegen kostet wertvolle Zeit und kann die Sicht auf das Systems Engineering im Allgemeinen stark beschränken, wodurch manche Inhalte von vorneherein ausgeschlossen und der Mehrwert nicht erkannt wird.
Zum Abschluss des ersten Tages nutzten die Teilnehmer:innen die Persona-Methode, um sich in einzelne Stakeholder und dessen Bedarfe besser hineinzuversetzen. In Kleingruppen wurden jeweils für die unterschiedlichen Stakeholder im Unternehmen fiktive Personen erstellt. Im Anschluss stellten sich die Kleingruppen die unterschiedlichen Persona gegenseitig vor und konnten sich damit sehr gut über die einzelnen Bedürfnisse in Bezug auf SE austauschen. Das Feedback der Teilnehmer:innen war, dass sich die Methode sehr gut eignet, sich in die einzelnen Stakeholder hineinzuversetzen, um denen damit den Mehrwert von SE zu vermitteln.
Qualifizierung im Systems Engineering
Die Qualifizierung spielt bei der Einführung von Systems Engineering eine wesentliche Rolle. Einige dieser Herausforderungen wurden am zweiten Workshoptag intensiv diskutiert. Zum einen muss möglichst schnell ein gleiches Verständnis zwischen allen Beteiligten geschaffen werden, zum anderen müssen aber auch bedarfsgerechte Qualifizierungspläne erstellt werden, um die Schulungsadressat:innen bei ihrem „Pain Point“ abzuholen. Das ist essentiell, um schnellstmöglich eine Akzeptanz für Systems Engineering zu entwickeln. So können Benutzer:innen den Mehrwert erkennen und die Arbeit SE-gerecht ausführen.
Serious Gaming und Systems Engineering
Ein moderner Ansatz, um Schulungsinhalte zu transportieren, ist Serious Gaming. Im Rahmen des Workshops wurden Gründe gesammelt, warum gerade spielerische Ansätze für Systems Engineering sinnvoll sind. Hindernisse und Risiken wurden ebenfalls betrachtet. Das Wort „Gaming“ klingt im ersten Moment nicht unbedingt nach einer ernstzunehmenden Methode. Sie hat aber viele Vorteile. Serious Gaming ist ein auf den Kontext angepasstes Spiel und vermittelt Schulungsinhalte. Es ist also keine Zeitverschwendung, sondern eine Simulation, die die Teilnehmer:innen gemeinsam durchgehen. Komplexe Inhalte können verständlich, schnell und realitätsnah vermittelt werden. So haben die Mitarbeiter:innen die Chance, mit einem geringen Aufwand bereits ein sehr gutes Verständnis des SE-Gedanken zu bekommen. Es wird spielerisch erprobt, welche Auswirkungen das Handeln der einzelnen Personen haben und damit verbunden auch welche Vorteile für das Unternehmen entstehen. So können Berührungsängste abgebaut werden und der Etablierung des Systems Engineerings steht nichts mehr im Wege.
Im Workshop wurden gemeinsam Ideen für ein Serious Gaming Spiel gesammelt. Vorschläge waren unter anderem die Übertragung des SE-Gedanken auf ein Memory Spiel oder ein Rollenspiel. Abschließend stellten Daria Wilke und Ulf Könemann ihr Fraunhofer IEM Spiel vor, welches auf großes Interesse stieß und den Ruf nach einem Systems Engineering Spieleabend laut werden ließ.
Workshop Resümee
In diesen zwei sehr interessanten Tagen wurden viele unterschiedliche und inspirierende Ideen zusammengetragen. Die Teilnehmer:innen konnten sich gegenseitig neue Impulse und Denkanstöße mit auf den Weg geben, indem gemeinsam die Hindernisse diskutiert, Tipps und Tricks ausgetauscht und mögliche Vorgehen beleuchtet wurden.