Ein geeigneter Ansatz, um den komplexen Herausforderungen im Automotive zu begegnen.

Elektrifizierung, Autonomes Fahren, unternehmensübergreifende Mobilitätslösungen oder auch regulatorische Rahmenbedingungen – die Automobil-Industrie sieht sich mit zahlreichen Interessen und Marktveränderungen konfrontiert, die die historisch gewachsenen Strukturen der Branche an ihre Grenzen bringen. Die Einführung von Systems Engineering soll Effizienz und Qualität der Entwicklungsprojekte steigern. Insbesondere die spezifischen Gegebenheiten im Automotive erfordern jedoch eine geeignete Anpassung des generischen Systems Engineering.

Automotive Systems Engineering beschreibt eine branchenspezifische Ausprägung der generischen Systems Engineering-Ansätze und Rahmenwerke für die Herausforderungen und Rahmenbedingungen im Automobilsektor. Ausgangspunkt stellt hierbei die ISO 15288 dar, die die Prozesse zur Entwicklung eines technischen Systems in einem Rahmenwerk strukturiert. Sie umfasst:

  • Technische Prozesse
  • Technische Managementprozesse
  • Vertragsprozesse
  • Organisatorische Prozesse

und adressiert somit die drei Bereiche Unternehmen, Projekt und technisches System.

Anpassung von Prozessen, Methoden und Tools (PMT) im Automotive-Engineering

Durch unternehmensspezifische Gegebenheiten und branchenspezifische Regularien und Standards (wie der ISO 26262 oder Automotive SPICE) ist der Einsatz spezifischer Prozesse, Methoden und Tools (PMT) erforderlich. Zur Entwicklung dieser PMT-Lösungen bedarf es eines interdisziplinär aufgestellten Expertenteams mit Wissen aus allen beteiligten Fachbereichen und guter Kenntnis der Engineering-IT. Mit Unterstützung von Systems Engineering-Experten entsteht so eine bedarfsgerechte Entwicklungslandschaft aus passgenauen PMT-Lösungen, die sowohl unternehmens- und fachspezifische Rahmenbedingungen als auch Systems Engineering-Denkweisen verbindet. Unternehmen sollten aber nicht erwarten, ihre PMT-Lösungen in einem Zug zu entwickeln und sie von Beginn an vollständig nutzen zu können. Vielmehr ist es ein Weg der vielen kleinen, aber dafür nachhaltigen Schritte: Eine kontinuierliche Anpassung und Erweiterung ist notwendig, um den Erfolg und die Akzeptanz der Veränderungen zu gewährleisten.

Die Mobilität der Zukunft: Das V-Modell als Schlüssel zur Entwicklung

Als übergeordneter Referenzprozess zur Entwicklung zukünftiger Mobilitätslösungen gilt nach wie vor das V-Modell der VDI-2206. Es erstreckt sich über alle Tätigkeiten – beginnend bei der Anforderungserhebung bis zur finalen Verifikation und Validierung. Herausforderungen liegen in der Systems Engineering-konformen Definition sämtlicher Prozesse entlang des V-Modells mit den zugehörigen Entwicklungsartefakten. Neben primären Prozessen wie z.B. der Systemspezifikation, dem Softwareentwurf oder dem Elektronikentwurf müssen auch sekundäre Prozesse wie das Konfigurationsmanagement oder das Architekturmanagement entwickelt und zu einer übergeordneten Prozesslandschaft zusammengeführt werden.

Der RFLP-Ansatz bietet eine Möglichkeit über verschiedene Sichten (Anforderungs-, Funktions-, Logische- und Physikalische-Sicht) ein konsistentes Modell zu entwickeln.
Das V-Modell als Schlüssel zur Entwicklung
MBSE im Automotive – Durchgängigkeit von den Stakeholder-Bedarfen bis zu kundenwunsch-basierten, sicheren Produkten

Das Model-based Systems Engineering (MBSE) beschreibt die formalisierte Anwendung der Modellierung während der gesamten Entwicklungsphase – von den Systemanforderungen bis zur Verifikation und Validierung im Rahmen des Systems Engineering. Das Erzeugen von Modellen löst die dokumentbasierte Entwicklung ab und fördert somit den effizienten Austausch von Informationen zwischen den Ingenieur*innen. Positiver Nebeneffekt: Notwendige Inhalte für Zulassungsrelevante Dokumentationen werden erzeugt und müssen nicht nachträglich aufgebaut werden. Ferner ermöglichen Verknüpfungen (sog. Trace-Links) zwischen den Entwicklungsartefakten die Rückverfolgbarkeit der Anforderungen bis hin zu den technischen Lösungselementen des Produkts. Speziell die Architekturentwicklung stellt im Hinblick auf ein funktionierendes Traceability-Konzept das Bindeglied zwischen der Anforderungsdefinition und der technischen Lösungsentwicklung dar.

Erfolgreich entwickeln mit dem RFLP-Ansatz

Bei der Entwicklung von Automobilen ist ein durchgängiger Informationsaustausch zwischen den Entwicklungsbereichen und den verschiedenen Abstraktionsebenen im Entwicklungsprozess essentiell. Unter Berücksichtigung von Stakeholder-Bedarfen, Regularien und Gesetzesanforderungen gilt es, das richtige Produkt richtig zu entwickeln. Der RFLP-Ansatz bietet hier eine Möglichkeit über verschiedene Sichten (Anforderungs-, Funktions-, Logische- und Physikalische-Sicht) ein konsistentes Modell zu entwickeln.

Der RFLP-Ansatz umfasst die Beschreibung von:
Requirements (Anforderungen), Functions (Funktionsstruktur), Logical (logische Struktur), Physical (Gestalt) im Rahmen des Produktentwurfs und der Entwicklung zur vollständigen Abbildung von komplexen technischen Produkten auf Basis multidisziplinärer Modellierungsweisen.

Requirements
Das RFLP Konzept: Nachvollziehbarkeit – von den Anforderungen bis hin zur Lösung
Ausblick: Standards und Referenzen für das Automotive Systems Engineering

Ein wichtiger Faktor hinsichtlich der Verbreitung von Systems Engineering im Automotive wird die frühzeitige Entwicklung von branchenspezifischen Standards und einheitlichen Strukturen sein. Insbesondere durch die komplexen Lieferantenbeziehungen sind standardisierte Sprachen, Schnittstellen aber auch Produktstrukturen notwendig. Nur so ist ein effizienter Austausch über Fachbereichs- und Unternehmensgrenzen hinweg möglich. Die Sprache SysML wird als Defacto-Standard im MBSE bereits in vielen Unternehmen genutzt. Allerdings besteht noch Handlungsbedarf – einerseits bei der Standardisierung von Produktstrukturen ähnlich zur Luftfahrtbranche und andererseits bei Austauschformaten zwischen Tools (wie etwa ReqIF, dem XML-Dateiformat für Anforderungen). Um Unternehmen aus dem Automotive beim Einstieg und dem effektiven Einsatz von (Model-Based) Systems Engineering zu unterstützen gilt es hier, künftig einheitliche Strukturen und Standards zu entwickeln. Daran arbeiten aktuell die OEMs gemeinsam mit Partnern aus der Forschung und Wirtschaft.

Anforderungen ASE MBSE

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Autor*in des Beitrags: Fraunhofer IEM
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