Auf dem Weg zu einem generativen Design bei der Entwicklung mechatronisch integrierter Geräte

Das Fraunhofer IEM baut MIDs auf 3D-gedruckte Grundkörper auf. Florian Pape kontrolliert den chemischen Metallisierungsprozess.

Die Nachfrage nach mechatronisch integrierten Geräten (MID) wächst, da sie die Anforderungen für ständig kleiner werdende Geräte und eine funktionale Integration erfüllen. Die Komplexität dieser Produkte und die Abhängigkeiten innerhalb der Produktionstechniken nehmen allerdings auch stetig zu. Die Nutzung eines generativen Design Prozesses könnte daher ein Weg sein, mit den zunehmenden Herausforderungen umzugehen. Aschot Kharatyan, Christoph Jürgenhake und Roman Dumitrescu entwickeln einen Ansatz, wie man generatives Design auch in der Entwicklung von MID einsetzen könnte.

Was ist generatives Design und wo wird es bereits umgesetzt?

Generatives Design wird bereits erfolgreich in Architektur, Kunst und im Design mechanischer Produkte eingesetzt. Generative Design-Werkzeuge kombinieren rechnerunterstützt unzählige alternative Designlösungen basierend auf Anforderungen wie z. B. bestimmten Restriktionen. Sie erforschen also kreative Lösungen, die ansonsten möglicherweise unentdeckt geblieben wären. Sogenannte „evolutionäre Algorithmen“ können große Datenmengen mit möglichen Lösungsansätzen durchspielen und so immer neue Lösungsvarianten anbieten.

Wo besteht Handlungsbedarf?

In seiner Dissertation hat er außerdem ein Reifegradmodell für die Einführung von SE und MBSE entwiLeider sind bisher keine der bestehenden Ansätze dafür geeignet evolutionsbasierte Prozeduren auf ein interdisziplinäres Produkt anzuwenden. Eine große Herausforderung besteht z. B. in der funktionsgetriebenen Verknüpfung und integrativen Evolution weiterer Lösungselemente. Um den Sprung von theoretischer Betrachtung zur durch Tools unterstützten praktischen Umsetzung zu schaffen, ist noch gezielte Forschung nötig.

Generatives Design in der Entwicklung von MID

Im Zentrum eines neuen Ansatzes des Fraunhofer IEM stehen durch die Biologie inspirierte Methoden, die die teilweise automatische Entwicklung von MID-Komponenten auf der Grundlage einer Produktspezifikation und verschiedener Lösungselemente ermöglichen. Im Gegensatz zu starren, grammatikbasierten Produktionsregeln erlaubt ein naturanaloger Evolutionsprozess die Erkundung kreativer Lösungen, während gleichzeitig ressourcenschonend die Entwicklungskomplexität von MID-Komponenten in Zaum gehalten werden kann. Zu den übernommenen Begriffen aus der Biologie gehören z. B. Genotyp, Synthese und Phänotyp.

Der Genotyp bezeichnet in Bezug auf MID die vollständig parametrisierte modellbasierte Prinziplösung. Er beschreibt implizit die 3D Form (mechanische Lösungselemente und deren Zusammensetzung) und umfasst auch elektronische Lösungselemente und Netzlisten.

Synthese bezeichnet im Kontext von MID einen Syntheseprozess, der die abstrakte modellbasierte Prinziplösung (MID-Genotyp) in die explizite digitale Bauteilbeschreibung (MID Phänotyp) umwandelt. Die Umsetzung wird unterstützt durch ein 3D-Routing-Verfahren, das automatisch ein 3D-Layout erzeugt.

Der Phänotyp ist eine bewertbare oder simulierbare Definition der digitalen MID-Komponenten. Zusätzlich zu den Netzlisten werden die elektronischen Komponenten auf der 3D-Oberfläche platziert. Der Phänotyp bildet die Grundlage für die Bewertung und die weitere Evolution. Die Bewertung erfolgt durch Simulation und Anwendung von sogenannten „Evolution Envelopes“, die die „Fitness“ bestimmen.

Der generative Prozess

So könnte der generative Design Prozess bei MID aussehen.

Der Design Prozess wird durch die Bestimmung der Anforderungen und Restriktionen von Funktion, Fertigung und Montage eingeleitet. An dieser Stelle können bestehende mechanische Lösungselemente und Restriktionen sowie Stück- und Netzlisten für elektronische Komponenten integriert werden. Diese Entscheidungen bilden die Basis und die Einschränkungen für den Lösungsraum im nächsten Schritt. Zu diesem Zweck wird eine ontologiebasierte, maschinenverarbeitbare Wissensbasis verwendet, die den gesamten technischen Lösungsraum von MID-Komponenten abdeckt.

Im nächsten Prozessschritt wird eine modellbasierte Grundsatzlösung abgeleitet. Diese definiert die mechanischen und elektronischen Lösungselemente des MID-Bauteils und deren Zusammensetzung anhand von abstrakten Modellen. Die Parameter der Modelle sind je nach Produktanforderung entweder festgelegt oder in klaren Grenzen variabel.

Der Evolutionsprozess

Der Evolutionsprozess wird nach der benutzerspezifischen Einstellung durch die Erzeugung einer Ausgangspopulation eingeleitet. Dazu werden Instanzen der modellbasierten Grundsatzlösung erzeugt, in denen die variablen Parameter der Modelle zufällig oder über eine entwickelte Logik ausgedrückt werden. Das Ergebnis sind die modellbasierten Genotypen der MID-Bauteile, die sowohl alle mechanischen als auch elektronischen Elemente mit geometrischen Beziehungsinformationen definieren. Während der MID-Genotyp für elektronische Elemente nur die Verknüpfungslogik über Netzlisten enthält, wird die komplette 3D-Form der mechanischen Elemente mathematisch beschrieben.

Auf der Grundlage der Ausgangspopulation werden dann die Synthese und das 3D-Routing durchgeführt. In dem zu entwickelnden Generative Design Prozess wird ein auswertbarer bzw. simulierbarer MID-Phänotyp in Form eines 3D-CAD-Modells auf Basis der voll parametrisierten modellbasierten Prinziplösung (MID-Genotyp) erstellt. Das Elektronik-Layout wird durch integrierte 3D-Routing-Algorithmen generiert, die die Platzierung und Verdrahtung der elektronischen Elemente immer mehr optimieren.

Daraufhin erfolgt die automatische Bewertung, bei der die MID-Phänotypen hinsichtlich ihrer Fitness über die Evaluation Envelopes bewertet werden. Evaluation Envelopes bestimmen verschiedene Faktoren wie Montagefähigkeit, Kosten oder auch ästhetische Gestaltungsmerkmale. Extrem negativ bewertete MID-Phänotypen werden entsprechend der Rangfolge ausgewählt und zusammen mit den zugehörigen MID-Genotypen gelöscht, während vollständig erfolgreich bewertete MID-Phänotypen an den Nutzer und damit zur manuellen Bewertung weitergeleitet werden. Alternativ werden die mit „befriedigend“ bewerteten MID-Phänotypen zur weiteren Evolution freigegeben.

Die Evolution von MID-Phänotypen wird durch Manipulation, der ihnen innewohnenden MID-Genotypen erreicht. Mögliche Evolutionsprozesse sind die Integration und Kreuzung in Paarungspools und die direkte Mutation variabler Merkmale des MID-Genotyps. Der Evolutionsprozess erzwingt die Manipulation der impliziten 3D-Form und erforscht neue MID-Genotypen durch Kreuzung und Mutation. Diese werden dann wieder durch Synthese und 3D-Routing in MID-Phänotypen umgewandelt und auf ihre Fitness hin bewertet. Dieser Evolutionsprozess wird so lange wiederholt, bis eine gewünschte Anzahl erfolgreich bewerteter MID-Phänotypen oder eine andere Abbruchbedingung (z.B. Anzahl der Evolutionsschritte) erreicht ist.

Die letzte Stufe der Prozesskette ist die manuelle Auswahl, bei der die digitalen, evolutionär erzeugten MID-Bauteile vom Anwender geprüft werden. An dieser Stelle besteht bei unzureichendem Ergebnis die Möglichkeit, verschiedene Phasen des generativen Designprozesses erneut zu starten. Neben der Endauswahl erlaubt die Online-Parametrisierung auch direkte Eingriffe in den evolutionären Prozess (z.B. durch Anpassung von Evaluation Envelopes).

Forschungsbedarf

Um das generative Design auch für MID voranzubringen, muss in einigen Handlungsfeldern noch weiter geforscht werden. Im Handlungsfeld MID Design Guidelines ist z. B. die Entwicklung einer ganzheitlichen Wissensbasis erforderlich, die MID Design-Wissen aus bereits bestehenden Vorarbeiten miteinbezieht und in semantisch aufbereiteter Form zur Verfügung stellt. Außerdem wird eine digitale Wissensbasis benötigt, die den Gestaltungsspielraum auf eine maschinenlesbare Art und Weise abbildet.

Im Handlungsfeld generatives Design soll vor allem die Entwicklung einer Systematik für ein automatisiertes Produktdesign vorangebracht werden. Hierfür wird z. B. noch ein Beschreibungsmodell für eine Grundsatzlösung gebraucht.

Im Handlungsfeld Computer-Hilfsmittel muss außerdem ein unterstützender digitaler Software-Rahmen erstellt werden, der eine nahtlose Integration von bestehenden Lösungselementen erlaubt. Insgesamt fehlt es noch an Tools, die bei der Entwicklung und Umsetzung von generativem Design in MID Unterstützung leisten können.

Bei weiterem Interesse können Sie hier auf das gesamte Paper zugreifen:

https://www.researchgate.net/publication/352068709_Towards_generative_design_in_the_development_of_mechatronic_integrated_devices_MID

Engineering Forschung System Tools

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Autor*in des Beitrags: Fraunhofer IEM
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